Führerschein

 

Autofahren lernen

Hier soll es um das Wesentliche gehen, womit man sich in einer Fahrschule beschäftigt: Autofahren lernen. Lernen ist grundlegend für den Menschen. Wenn man lernt passt man sich seiner Umwelt an und lernt auch eventuell die Umwelt an seine eigenen Bedürfnisse anzupassen. Das klingt banal und in der Tat, meist geschieht Lernen automatisch, ganz ohne eigenes Zutun, ohne Absicht und ohne besondere Mühe oder Anstrengung. Diese Gewissheit so finde ich, ist sehr beruhigend und sollte zu einer gelassenen und entspannten Herangehensweise führen. Nur Mut!

Lernen – eine Definition auch für die Fahrschule

Die meisten Definitionen des Lernens beinhalten Aspekte von Wissensaneignung und Verhaltensänderung. Da sich durch Wissen auch das, was wir wahrnehmen verändert, kann man sagen, dass Lernen eine Veränderung unserer Wahrnehmung, unseres Erlebens und unseres Verhaltens ist. Diese Veränderungen kommen durch neue Erfahrungen, meist durch die Interaktion mit der Umwelt. In Ruhe nachdenken ist auch geeignet, um zu neuen Informationen (über sich selbst?) zu kommen. Daher kann man Lernen und Reifung meiner Ansicht nach nicht gänzlich voneinander trennen.

Wozu theoretisches Wissen?

Autofahren ist etwas Praktisches, warum sollte man sich dennoch mit einer Theorie wie man lernt, beschäftigen? Nicht immer verlaufen Lernprozesse wie gewünscht, geplant oder erwartet. In so einem Fall stellt sich die Frage, woran es liegt und wie man es verändern kann. Mit einer Theorie oder einem Modell können Lern-Entwicklungen vorhergesagt werden bzw. können Lernverläufe nachträglich erklärt werden. Mit Theoriewissen über das Lernen kann der Fahrlehrer seine praktischen Fahrstunden sowie auch den Fahrschulunterricht bewusst steuern.

Theorie ist nützlich für die Praxis

Mein „Modellwissen“ legt mir nahe, was ich laut Modell verändern muss, damit ich Lernziele schneller erreichen kann. Wenn jemand zu langsam lernt muss man mehr Fahrstunden in der Woche planen (Lernerfahrung intensivieren), wenn jemand hauptsächlich in der letzten halben Stunde der Fahrstunden Fahrfehler macht, so ist die Aufmerksamkeit erschöpft (Aufmerksamkeit und Konzentration ist eine Resource, die begrenzt ist) und man sollte die Lerneinheit auf 60 Minuten begrenzen, wenn jemand zögerlich Entscheidungen beim Abbiegen trifft muss man evtl. die Vorfahrtsregeln nochmals üben (top-down Prozesse steuern Aufmerksamkeit und Verhalten), etc.

Wie differenziert ist Dein Modell?

Zu diesen und ähnlichen banalen Rückschlüssen wird man durch eine Analyse des Unterrichtsverlaufs meist kommen. Jedoch, je differenzierter das Modell ist, welches man zum Abgleich mit der Realität nutzt, umso mehr Informationen ergeben sich aus dem Vergleich zwischen Theorie(Modell) und realem Lerngeschehen. Ein Lernmodell sollte daher stets gepflegt werden, damit es „up to date“ ist.

Lernen und Ausprobieren ist Standard

Wenn also lernen, wie zuvor angesprochen, ganz von alleine geschieht, wozu dann in eine Fahrschule gehen?
In der Tat bin ich davon überzeugt, würde man einem interessierten, neugierigen und motivierten Menschen nur ein Fahrzeug zugänglich machen (am besten auf einem Verkehrsübungsplatz) so könnte man die Beobachtung machen, dass nach einer Weile der Lernende das Auto erst hoppelnd vom Fleck und dann immer weiter und immer sanfter in Bewegung setzten könnte. Der Lernende würde sich an der Maschine „abarbeiten“ – in seinem eigenen, individuellen Lerntempo.

Feedback als wertvolle Information betrachten

Nicht nur die Maschine „Auto“ gibt mir ein Feedback was geht und was nicht. Mit einem Gegenüber, einem Menschen, der mir ein Feedback gibt (welches mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von meiner Sicht der Dinge abweicht) erhalte ich zusätzliche Informationen. Lernen ist Informationsverarbeitung – unterschiedliche Meinungen führen zu mehr Informationen, auf die man zurückgreifen kann. Der Fahrlehrer optimiert den Prozess des Autofahrenlernens, da er einen Plan hat, wann er welche Informationen durch welche Lernerfahrungen zugänglich machen möchte und wann Informationen durch ein zusätzliches Feedback nützlich sind. Durch diesen Plan wird das Lernen ein bewußterer, kontrollierter Vorgang. Anzumerken ist aber, dass ein Zuviel an – nennen wir es Selbstüberwachung – auch überfordern und zu Hemmungen führen kann.

Lernen – Veränderung auf drei Ebenen

Unser Gehirn verändert sich durch das Lernen

Lernen führt zu einer Veränderung der neuronalen Vernetzung im Gehirn (1. Ebene). Wenn ich die Vorfahrtsregeln lerne, so habe ich zunächst theoretisches Wissen verfügbar, welches ich aktiv erinnern oder passiv wiedererkennen kann. Wenn etwas gelernt und geübt wird, dann werden Verbindungen zwischen Gehirnzellen hergestellt, gefestigt und Informationen schneller verfügbar gemacht. Dieses Üben führt zu Erfahrung und hat zur Folge, dass das Abrufen von Wissen, das Ausführen von exakten Bewegungen, situationsangemessenes Reagieren, schneller und oft weitgehend automatisiert erfolgen. Diese Automatisierung führt im Gegenzug wieder dazu, dass mehr Kapazität des Gehirns frei ist (wird) um neue Informationen zu verarbeiten.

Wissen verändert unser Verhalten

Wissen über die Vorfahrtsregeln führt außerdem dazu ( 2. Ebene), dass ich mich in Situationen, in denen eine Entscheidung über die Reihenfolge der Weiterfahrt zu treffen ist nun anders (besser) im Einklang mit der Umwelt (anderen Verkehrsteilnehmer) verhalten werde. Und zumindest auf lange Sicht führen bestimmte Verhaltensweisen auch dazu, dass sich (3. Ebene) Werte, Einstellungen und Überzeugungen ausbilden.

Wir finden gut was wir tun

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird z.B. eine Person, die über Jahre hinweg morgens immer Müsli isst, überzeugt davon sein, dass es sinnvoll und gesund ist Müsli zu essen und wird eher Widerwillig auf eine Schale Schoko-Cornflakes zum Frühstück reagieren. Mit diesem Beispiel möchte ich folgenden Annahme verdeutlichen: Wenn wir uns beim Autofahren immer genau an die Verkehrsregeln halten (z.B. immer bei einem Stoppschild an der Haltelinie Anhalten, die Geschwindigkeitsbegrenzungen beachten, immer unseren Parkschein ziehen) wird es mit großer Wahrscheinlichkeit auch zu einer Einstellung, wie z.B. „es ist gut, sich an Verkehrsregeln zu halten und Risiken beim Autofahren zu vermeiden“) kommen. Soweit die (eine) Theorie, wie Lernen und praktisches Tun den Erwerb unserer Einstellungen beeinflusst.

Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Konzentration

Informationsflut tut nicht gut

An Informationen mangelt es nicht beim Autofahren. Gerade in den ersten Fahrstunden ist es wichtig, die Menge an Informationen, die man als Fahrschüler berücksichtigen muss auf das Nötigste zu begrenzen. Die Frage ist daher, welche Informationen sind wann für den Lernenden wichtig. Über die verschiedenen Sinneskanäle, besonders über das Sehen und das Hören, aber auch über das Fühlen (Vibrationen am Lenkrad, Druck auf Rücken und Beine, Spannung der Muskeln und Sehnen) bekomme ich eine Rückmeldung über mein Tun. Nämlich ob sich mein Fahrzeug in der Mitte des Fahrstreifens befindet, wie schnell ich fahren darf, ob die Fahrbahn Schlaglöcher hat und wie groß die Fliehkraft wird, wenn ich am Lenkrad drehe, etc.

Offen sein für Sinneseindrücke oder Abschottung?

Die Wahrnehmung bietet einen ungefilterten Zugang zur Welt. Über Aufmerksamkeit und Konzentration wird der Fokus für die Wahrnehmung verschoben und die Informationsverarbeitung von störenden Einflüssen abgeschirmt. In diesem Zusammenhang ist noch erwähnenswert, dass in der Psychologie zwischen sogenannten top-down und bottom-up Prozessen bei der Aufmerksamkeitssteuerung unterschieden wird. Diese Unterscheidung ist für die Praxis des Autofahrenlernens insofern nützlich, da eine Unterscheidung erfolgt, ob man überspitzt gesagt planvoll eine gelernte Verhaltenskette abarbeitet (top-down) und bewußt die Aufmerksamkeit auf die Punkte der „to do“ Liste lenkt, oder man sich bei der Orientierung auf (äußere) Umweltreize (Geräusche, Bewegungen, Farben, attraktive Bilder) die nach Aufmerksamkeit schreien, verliert.

Balance der Aufmerksamkeitssteuerung

Es soll hier aber nicht verschwiegen werden, dass eine ausgewogene Mischung zwischen beiden Prozessen einen erfolgreichen „Informationsverarbeiter“ ausmacht, denn wer nur hochkonzentriert seinen Plan in die Realität (in den Straßenverkehr) umsetzen will, übersieht leicht Veränderungen in der Umwelt, die auch eine veränderte Reaktion des Autofahrers verlangen.

Lernen und Emotionen

Auch Emotionen sind Informationen die wahrgenommen und verarbeitet werden müssen. Freude, Lust, Langeweile, sich gestresst fühlen, Angst, Ängstlichkeit und Gehemmtheit aber auch Ärger und Wut sind beim Erlernen des Autofahrens sehr wichtige Komponenten, die nicht ignoriert werden dürfen. Daher erscheint mir besonders wichtig, dass während des gesamten Lernprozesses ein Austausch zwischen Fahrschüler und Fahrlehrer besteht, bei dem die Gefühlslage des Lernenden, des Fahrlehrers als auch in Bezug auf die Arbeitsbeziehung erfolgt.

Selbständig Autofahren lernen

Autofahren – nichts für Kinder!

Dass man weitgehend erwachsen bzw. volljährig sein muss hat wohl mit der Verantwortung zu tun, die man als Autofahrer zu tragen hat. Erwachsene, egal ob mit 17 oder 18 Jahren müssen auf die wichtigen Fragen, die sich stellen, Antworten geben können. Eigene Antworten. Selbständigkeit und Verantwortung gehören zusammen. Der etwas angestaubte Begriff der Mündigkeit geht auch in diese Richtung.

Richtige Entscheidung auf Basis von Erfahrungen

Jemand, der den Führerschein machen will um danach alleine Autofahren zu können, muss die Erfahrungen und das Wissen haben, um die erforderlichen Antworten auf das Verkehrsgeschehen selbst geben zu können. Ist die Lücke groß genug um Abbiegen zu können? Mit welcher Geschwindigkeit kann ich in diese Kurve fahren? Passt der Seitenabstand in dieser Engstelle mit Gegenverkehr? Diese Fragen sollten richtig beantwortet werden um Schaden zu vermeiden!

Verantwortung und Zwang – kein schönes Paar

Die Verkehrspädagogik befindet sich dabei in einer schwierigen Situation, da  das Lernen von verantwortlichem Handeln, meiner Ansicht nach, die Wahlfreiheit braucht. Die Freiheit, sich so oder auch anders Entscheiden zu können. So ist es wenig erstaunlich, dass der Prozess der Verantwortungsübernahme immer wieder zu Konflikten führt, da Fahrschüler und Fahrlehrer, junger Autofahrer und die Begleitperson, unterschiedliche Antworten auf die Fragen geben. Wichtig dabei ist, die Möglichkeit der erfahreneren Person (Fahrlehrer/Begleitperson) für das eigenverantwortliche Fahren zu nutzen, darauf bei Bedarf zugreifen zu können, ohne dabei den Fahrstil des anderen komplett zu übernehmen und sich dessen Sicht auf die Dinge vollständig anzupassen. Verantwortung übernehmen heiß auch Position zu beziehen – auch gegen andere Positionen.

Deutungshoheit – Wer darf bestimmen?

Daraus folgt häufig die Frage nach der Deutungshoheit: Wer bestimmt was richtig oder falsch ist? Wie viele Fahrstunden sind normal? Wie schnell muss man das Autofahren erlernen können? Wie angespannt darf man sein, wenn man etwas neues (gefährliches) lernt? Wie viel Zeit darf man sich nehmen, bevor eine Entscheidung getroffen wird? Alle diese Fragen sind nicht losgelöst von der Erfahrung und der subjektiven Lerngeschichte des Lernenden zu beantworten und erfordern ein behutsames Vorgehen von Lernendem und dem, der ihn dabei begleitet.